Der „Gender Digital Gap“ kann die Geschlechterungleichheit auf dem Arbeitsmarkt verstärken
In der gerade vorgelegten Studie des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts (WSI) der Hans-Böckler-Stiftung kommt die Autorin Yvonne Lott zu dem Schluss, dass „die digitale Transformation die Geschlechterungleichheit auf dem Arbeitsmarkt verstärken (kann) – und zwar aufgrund des bestehenden Gender Digital Gap“. Untersucht wurden Daten des repräsentativen Nationalen Bildungspanels (NEPS).
Die empirischen Analysen zeigen, dass ein Gender Digital Gap bei der Verwendung von Software am Arbeitsplatz besteht, insbesondere bei fortgeschrittenen und speziellen Programmen bzw. Programmiersprachen und vernetzten digitalen Technologien. Weibliche Beschäftigte sind mit Blick auf die digitale Zukunft bei ihrer beruflichen Tätigkeit gegenüber männlichen spürbar im Nachteil. Frauen und Männer arbeiten heute zwar ähnlich häufig am Computer: Bei der Verwendung von fortgeschrittener und spezialisierter Software sowie bei der Nutzung vernetzter digitaler Technologien wie Cloud-Diensten zeigen sich aber erhebliche Unterschiede. Besonders groß ist der Rückstand bei Frauen, die Teilzeitstellen haben.
Gender Part-Time Digital Gap
Der Gender Digital Gap besteht also in erster Linie für teilzeitbeschäftigte Frauen sowohl im Vergleich zu weiblichen Beschäftigten in Vollzeit als auch im Vergleich zu Männern in Voll- und Teilzeit. Der Gender Digital Gap ist also vor allem ein Gender Part-Time Digital Gap. Ein Grund hierfür könnte sein, dass Frauen ihre Arbeitszeit sehr viel häufiger als Männer aus familiären Gründen reduzieren und sie damit öfter Stigmatisierung ausgesetzt sind, was anscheinend zu beruflichen Nachteilen auch in Hinblick auf die Verwendung digitaler Technologien führt.
Dementsprechend schätzen weibliche Beschäftigte im Durchschnitt ihre Berufschancen auf einem zunehmend digitalisierten Arbeitsmarkt als schlechter ein: Die Wahrscheinlichkeit, dass sich berufstätige Frauen gut auf den Umgang mit vernetzten digitalen Technologien vorbereitet fühlen, liegt bei 34 Prozent (im Vgl. zu 49 Prozent bei Männern).
Hinsichtlich der Zukunft erwarten nur 10 Prozent der Frauen, dass sich durch die Digitalisierung ihre Aussichten auf dem Arbeitsmarkt verbessern (im Vgl. zu 18 Prozent).
Substituierbarkeits-Potenzial von Berufen, die häufig von Frauen ausgeübt werden
In der Praxis üben aktuell deutlich mehr Männer als Frauen (7,1 Mio. gegenüber 4,2 Mio.) Berufe aus, bei denen viele Tätigkeitsanteile auch von Computern übernommen werden können. Der Abstand beim so genannten „Substituierbarkeits-Potenzial“ ist zwischen 2013 und 2019 aber deutlich kleiner geworden. Jedoch ist hier die Spannbreite bei den von Frauen häufig ausgeübten Berufen sehr ausgeprägt: Bei Sozialberufen kann vergleichsweise wenig technisch substituiert werden, in Büroberufen schon. Und schließlich würden in frauendominierten Berufen solche Rationalisierungs-Potenziale häufiger auch tatsächlich umgesetzt, ergänzen die Expertinnen Carola Burkert, Katharina Dengler und Britta Matthes vom Institut für Arbeit- und Berufsforschung (IAB) in ihrem Abschnitt "Profitieren Frauen von der Digitalisierung stärker als Männer?".
Yvonne Lott benennt zwei zentrale Punkte, an denen sich dringend etwas ändern muss:
Die Weiterbildungs- und die Arbeits(zeit)-Kultur und -Praxen müssen sich dringend ändern
Eine intensive und kontinuierliche Weiterbildung in digitalen Technologie angesichts der laufenden Transformation der Arbeitswelt ist für alle Beschäftigten notwendig. Allerdings dokumentiere die Forschung bei der Qualifizierung seit langem eine geschlechtsspezifische Schlagseite: Frauen erhalten seltener und kürzere Weiterbildungen als Männer, und diese erhöhten auch seltener die Chance auf Beförderung oder Lohnerhöhungen. Daher sei es zentral, dass der Staat, etwa bei der Förderung von Qualifizierungen, gleiche Chancen für weibliche Beschäftigte in den Vordergrund stelle.
Außerdem ist eine neue Arbeitskultur wichtig - weg von sehr langen Arbeitstagen, zeitlicher Entgrenzung und Stigmatisierung von Teilzeitarbeit, wie sie gerade in der IKT-Branche verbreitet sei. Solche Prägungen trügen dazu bei, dass selbst in Digital-Unternehmen beschäftigte qualifizierte Frauen eher am Rande blieben.
Digital-Kompetenzen müssen verstärkt in die frühkindliche Bildung integriert werden
Digital-Kompetenzen müssten verstärkt bereits in der frühkindlichen Bildung und an Schulen vermittelt werden, bevor sich geschlechtsspezifische Segmentierungen und Diskriminierungen einstellten. Das mache auch Ausbildungen oder ein Studium im Bereich der Informations- und Kommunikationstechnologie für Frauen attraktiver. Eine gendersensible Qualifizierungsstrategie gerade bei digitalen Techniken helfe dabei nicht nur den betroffenen Frauen, sondern sei angesichts des demografischen Wandels auch gesamtwirtschaftlich extrem sinnvoll.
Weitere Ergebnisse entnehmen Sie der kompletten Studie im WSI-Report Nr. 81 (PDF-Dokument).
Was genau ist der Gender Digital Gap eigentlich?
Und zum Abschluss noch eine Podcast-Empfehlung: Was genau ein Digital Gender Gap ist, erläutern die Expertinnen Johanna Wenckebach und Yvonne Lott in der Episode des Podcast "Systemrelevant" der Hans Böckler-Stiftung: Welche Auswirkungen hat der Gender Digital Gap auf die Arbeitswelt?